Stellungnahme der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Haushalt 2021 und der aktuellen politischen Lage in Jülich
Teile der Stellungnahme wurden in abgewandelter Form während der Ratssitzung am 23.06.2021 als Haushaltsrede eingebracht.
Sehr geehrter Herr Bürgermeister,
sehr geehrte Ratsmitglieder,
sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,
heute verabschieden wir den Haushalt 2021.
Zuerst möchte ich mich, auch im Namen unserer Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, bei Herrn Kohnen und der gesamten Verwaltung bedanken. Sie haben unsere Fragen zum Haushaltsentwurf zügig und ausführlich beantwortet.
Ein großer Dank geht an alle Bürgerinnen und Bürger, die sich in den vergangenen 16 Monaten unermüdlich für die Eindämmung der Coronapandemie eingesetzt haben. Ein besonderer Dank gilt darüber hinaus dem ehrenamtlichen Engagement der Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt.
Vor uns liegt ein Haushalt mit schwarzen Zahlen. Erst zum zweiten Mal seit 2009 schließt der Haushalt nicht mit einem Minus ab. Wir kommen endlich aus dem Haushaltssicherungskonzept raus. Gibt es deshalb einen Grund zu jubeln? Ist der Haushalt das Ergebnis einer nachhaltigen Finanzführung?
Die Antwort ist zweimal ein ganz klares: Nein.
Jubeln und uns zurücklehnen können wir nicht. Die Furcht vor dem Haushaltssicherungskonzept sitzt uns weiterhin im Nacken. Es wird uns auch in den kommenden Jahren jede nur erdenkliche Kraftanstrengung kosten, das HSK abzuwenden. Hinzu kommt, dass die Verschlechterung der Einnahmen durch Corona in Höhe von 5 Mio. € als außerordentlicher Ertrag verbucht werden. Sie belasten den Haushalt erst ab 2025, obwohl sie bereits 2021 angefallen sind. Hier gewährt die Landesregierung den Kommunen einen buchhalterischen Aufschub.
Das zweite Nein offenbart sich bei einem Blick auf den Vorbericht zum Haushalt 2021. Die Stadt Jülich hat von 2009 bis 2019 ihr Eigenkapital komplett aufgebraucht. Für 2019 droht sogar ein negatives Eigenkapital. Es war also schlichtweg gar nicht möglich, 2021 mehr Mittel in den Haushalt zu stellen.
Wir haben in Jülich im vergangenen Jahr mit dem Integrierten Handlungskonzept (InHK) und dieses Jahr mit dem Mobilitätskonzept zwei neue Konzepte beschlossen. In diesem Jahr wird uns noch das Entwicklungspolitische Handlungskonzept vorgelegt. Ein Dorfentwicklungskonzept wird auf den Weg gebracht. Darüber hinaus gibt es noch einige Konzepte aus der Vergangenheit, wie das Integrierte Klimaschutzkonzept und weitere, deren Namen ich gar nicht alle kenne. Wir begrüßen es als Grüne sehr, wenn nicht wild darauf los geplant und gebaut wird, sondern Änderungen strukturiert angegangen werden. Allerdings müssen wir sehr vorsichtig sein, dass wir uns mit der Anzahl und Größe der Konzepte nicht selbst überfordern. Qualität kommt vor Quantität.
Vielleicht brauchen wir, bevor wir mit der Konzernstruktur Stadt Jülich weiter machen, erst mal eine Konzeptstruktur. Eine Möglichkeit wäre die Einführung eines Konzeptcontrollings in der Stadt Jülich. Es braucht eine regelmäßige Überprüfung über den Umsetzungstand und die Verzahnung der einzelnen Konzepte, um einen Flickenteppich zu verhindern.
Entscheidungen im Rahmen dieser Konzepte werden in Jülich oft in Arbeitskreisen und Lenkungsgruppen getroffen. Aber diese Arbeitskreise und Lenkungsgruppen sind keine entscheidungsbefugten Gremien. Sie bereiten Entscheidungen lediglich vor. Diese müssen letztlich öffentlich und transparent in den Ausschüssen getroffen werden.
Ein Blick in umliegende Kommunen zeigt, dass Jülich überproportional viele nicht-öffentliche Gremien hat. Der Blick zeigt auch, welche Schwerpunkte andere Kommunen in ihrer Arbeit legen und auch hier hinkt Jülich hinterher. Sei es der Ausschuss für Controlling in Linnich, der Ausschuss für Umwelt und Energie in Langerwehe oder der Ausschuss für Mobilität, Umwelt und Klimaschutz in Düren.
Controlling ist für viele in Jülich noch ein Fremdwort. Das Thema Umwelt geht bei uns im Planungs-, Umwelt- und Bauausschuss unter. Energie, Mobilität, Nachhaltigkeit und Klimaschutz tauchen in den Ausschussnamen gar nicht auf.
Aber was hat das mit dem Haushalt der Stadt Jülich zu tun? Sehr viel, denn die Schwerpunkte in den politischen Gremien finden sich auch im Haushalt wieder. Eine einfache Stichwortsuche im Haushalt offenbart, wie wenig nachhaltige Ausgaben geplant sind.
Stichwort: Klimaschutz. Man wird im Haushalt fündig und findet tatsächlich das Sachkonto DURCHFÜHRUNG VON MASSNAHMEN GEMÄSS KLIMASCHUTZKONZEPT. Die Ernüchterung kommt allerdings schnell, wenn man in der Zeile mit dem Finger nach rechts geht. Von 2020 bis 2024 sind hier insgesamt 0 € vorgesehen.
Dabei ist Klimaschutz die zentrale gesellschaftliche Herausforderung des 21. Jahrhunderts. Klimaschutz muss kommunale Pflichtaufgabe werden. Unser Wärmebedarf muss zunehmend aus erneuerbaren Energiequellen der Region gedeckt werden. Die umzusetzende Wärmewende muss von den Stadtwerken und dem Handwerk der Region begleitet werden. Die Inanspruchnahme von Fläche muss strengen ökologischen Vorgaben unterliegen. Eine weitere Versieglung von Flächen ist zu vermeiden. Der motorisierte Individualverkehr muss in der Innenstadt zum Gast werden.
Wenn man den Haushalt weiter durcharbeitet, bleibt man unvermeidbar an den geplanten Investitionen hängen. 87 Mio. € in den nächsten vier Jahren. Gleichzeitig sind über 60 Mio. € neue Kredite notwendig. Eine Bürde, die wir den nachfolgenden Generationen hier auferlegen wollen, die nur so lange noch tragbar ist, wie die Zinsen auf dem niedrigen Niveau bleiben. Die Kredite und Schulden inkl. der Zinsen werden uns auf Jahre hinaus noch mehr lähmen. Sie werden uns noch weniger Spielraum lassen und die zuvor bereits angesprochene Furcht vor dem Haushaltssicherungskonzept füttern und noch größer werden lassen.
Bei den geplanten Investitionen sticht eine Sache ins Auge. Neben den notwendigen Ausgaben für die Feuerwehr und den Erweiterungen der Grundschulen zur Offenen Ganztagsschule sind es vor allem bauliche Maßnahmen in der Innenstadt. Das integrierte Handlungskonzept, das Rathaus und die Tiefgarage machen den größten Teil aus. Bei der Neugestaltung der Innenstadt scheint der Konsum im Vordergrund zu stehen, nicht die Aufenthaltsqualität. Was fehlt, ist ein gesamtheitlicher Ansatz. Es entstehen Flickenteppiche mit einer Konzentration auf die Innenstadt.
Dabei muss man auch ganz klar erkennen, dass die Investitionen in Feuerwehr und Schulen und vor allem die Umsetzung der geplanten Investitionen in den nächsten Jahren sämtliche Planungskapazitäten der Stadt einnehmen werden. Wie die anderen baulichen Maßnahmen geplant werden sollen, ist uns Grünen Stand heute ein Rätsel.
Gerade die insgesamt 6 Mio. € zur Ertüchtigung der Tiefgarage Zitadelle sind in unseren Augen fehl am Platz. So viel Geld für eine so alte Technologie. Hier zitiere ich gern Herrn Rödel vom Büro Rödel & Pachan: „Es sollte eigentlich gar nicht Fahrzeug heißen, sondern Stehzeug. Denn die meisten Autos stehen 95 % des Tages.“ Warum also viel Geld für Raum für Stehzeuge ausgeben? Damit könnte bereits ein Fünftel der Radwegeinfrastrukturmaßnahmen aus dem Mobilitätskonzept umgesetzt werden. Kombiniert mit Fördermitteln könnten wir mit dieser Summe vermutlich sogar alle Maßnahmen umsetzen.
Die Neuaufstellung und Digitalisierung des Flächennutzungsplans ist ein erster Schritt, die Stadtplanung in Jülich übersichtlicher zu gestalten. Wir begrüßen die Neuaufstellung sehr und freuen uns, dass nach der Verabschiedung des Haushalts heute direkt mit der Umsetzung dieser Maßnahme begonnen werden soll.
Im letzten Ausschuss für Kultur, Dorf- und Stadtentwicklung, Wirtschaftsförderung wurde uns Grünen Mutlosigkeit und fehlende Visionen vorgeworfen. Im ersten Moment war ich überrascht, aber dann wurde mir klar, dass es wohl an verschiedenen Sichtweisen liegt. Der eine sieht eine Vision, der andere ein Luftschloss. Die eine sieht die Zukunft, die andere die Vergangenheit. Aber wir Grünen haben Visionen, wir haben Mut. Sei es die Begrünung von Dachflächen und Fassaden, die Regenwassernutzung oder Solarthermie und Photovoltaik auf kommunalen Liegenschaften. Sei es die Baulückenschließung vor neuer Baugebietsentwicklung. Sei es der Ausbau des Fahrradwegenetzes von und nach Jülich. Wir wollen greifbare Visionen für alle Menschen und keine Visionen, die über unsere Köpfe hinweg schweben.
Wir werden uns als Grüne weiterhin dafür einsetzen, dass der Mensch im Zentrum des politischen Handelns steht. Wir machen uns weiterhin stark für ein klares Bekenntnis zu Klimaschutz, Umweltschutz und Nachhaltigkeit. Nicht versteckt in Lenkungskreisen, sondern sichtbar in der Jülicher Kommunalpolitik. Mutlose Bebauungspläne ohne Vorgaben zur Energieversorgung, Mobilität und Grünflächengestaltung müssen der Vergangenheit angehören. Neue Bebauungspläne müssen aus Sicht der Grünen zukünftig z. B. nachhaltige Energie- und Verkehrskonzepte beinhalten.
Wir begrüßen es sehr, dass das Thema Nachhaltigkeit mittlerweile Einzug gehalten hat in Jülich. Mit der Koordinatorin für kommunale Entwicklungspolitik haben wir eine sehr engagierte Person, die die Unterstützung aller Fraktionen hinter sich weiß. Hier möchte ich insbesondere das Thema Fair Trade hervorheben, dass wir Grüne vor vier Jahren auf den Weg gebracht haben. Die Umsetzung wird jetzt mit breiter Unterstützung, auch aus der Zivilbevölkerung, getragen.
Hervorheben möchte ich in diesem Zusammenhang auch das Mobilitätskonzept, für das wir Grüne die Initialzündung gegeben haben. Gemeinsam mit den niederschwelligen Mobilitätsangeboten, wie zum Beispiel den Mitnahmebänken und den Elektrolastenfahrrädern, sehen wir Jülich auf einem guten Weg.
Große Einigkeit herrscht bei den politischen Vertreterinnen und Vertretern auch bei der Stelle des Klimaschutzmanagers. Diese Stelle ist mittlerweile unbefristet und hoffentlich bald wieder mit einer engagierten Person besetzt. Hier fordern wir Grüne, dass dem neuen Klimaschutzmanager alle Steine aus dem Weg geräumt werden und auch er die Unterstützung aller Fraktionen hinter sich weiß.
Positiv sehen wir in diesem Zusammenhang vor allem das von Herrn Ross zum Ende hin angestoßene Energie-Einsparcontracting. Es kann eine sehr gute Basis für weitere Energieeffizienzmaßnahmen in der Stadt sein. Denn eine Kommune muss immer mit gutem Beispiel voran gehen und die Menschen mitnehmen.
Bei aller Kritik am Haushalt müssen wir natürlich zugeben, dass viele Probleme nicht Jülich-spezifisch sind. Die Kommunalfinanzen liegen landesweit im Argen und viele externe Zwänge sowie fixe Umlagen legen uns begrenzte Spielräume bei der eigenen Haushaltsgestaltung auf. Für zukünftige Haushalte fordern wir Grüne die rechtzeitige Einbringung des Entwurfs, möglichst im vorausgehenden Jahr. Das ist in anderen Kommunen im Kreis Düren, z. B. in Nörvenich und Kreuzau, bereits Standard und erhöht die Planungs- und Investitionssicherheit.
Wir haben als Fraktion lange und intensiv über den Haushalt beraten. Wir haben mit Anträgen versucht, ihn zumindest ein kleines Stück mehr in die von uns favorisierte Richtung zu lenken. Zusammengefasst bleibt, dass wir als Fraktion keine einheitliche Meinung zum Haushalt haben und deshalb heute unterschiedlich abstimmen werden. Die Hintergründe habe ich in meiner Rede hoffentlich verständlich dargelegt.
Zum Ende meiner Rede bedanke ich mich bei meiner Fraktion für die geleistete Arbeit im letzten Jahr und freue mich auf die weiterhin gute Zusammenarbeit.
Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Sebastian Steininger
(Fraktionsvorsitzender)